Abstract
ZusammenfassungReligiöse Polemik ist ein Phänomen, welches sich in antiker wie spätantiker Zeit in ganz unterschiedlichen Kontexten beobachten lässt. Einen besonderen Bereich derselben stellt die Kritik an den Mythen des jeweils in den Fokus genommenen Gegners dar, welche insbesondere in dem christlichen, antihäretischen Schrifttum immer wieder aufscheint. Der vorliegende Artikel soll dem Leser anhand einer Detailanalyse ein konkretes, äußerst facettenreiches Beispiel dieser antihäretischen Mythenkritik vorstellen. Es handelt sich dabei um eine Passage aus dem Kapitel 100 der Häresien über den Islam aus der Feder des Johannes von Damaskus. Ist dieses Kapitel grundsätzlich entsprechend seiner theologischen wie religionsgeschichtlichen Bedeutung bereits eingehend erforscht, gilt dies jedoch nicht für einen größeren Komplex dieses Textes, der sich an die Erwähnung einer „Schrift von der Kamelstute Gottes“ anschließt. Dies ist umso überraschender, als es sich hierbei um eine der längsten Passagen des Kapitels handelt, welche sich zudem durch einen ganz eigenen Charakter und ironischen Unterton auszeichnet. Dabei sind es vor allem zwei Aspekte, die hier einmal näher beleuchtet werden sollen: 1. Johannes’ kreativer und zugleich spielerischer Umgang mit zwei unterschiedlichen und ursprünglich in keinem Zusammenhang zueinander stehenden islamischen Vorlagen – einerseits der zu Teilen im Koran, aber vor allem in der islamischen Tradition bezeugte Mythos einer außergewöhnlichen Kamelstute, andererseits die bekannte Beschreibung der Paradiesflüsse –, die er aufgreift, miteinander kombiniert und fort spinnt. 2. Johannes’ Spiel mit mehreren Bedeutungsebenen durch den Einsatz zahlreicher intra- wie intertextueller Bezüge, welches schließlich in eine radikale Kritik der islamischen Paradiesvorstellung einmündet und damit einen Topos der nachfolgenden byzantinischen Islampolemik vorbereitet.