Abstract
Ein neuer globaler Wettlauf um den Weltraum ist in vollem Gange, bei dem kommerzielle und staatliche Akteure weltweit ambitionierte Visionen für die Zukunft der Menschheit im Weltraum entwerfen. Europa steht aktuell an der Schwelle zur Entscheidung, welche Rolle es in diesem neuen Weltraumzeitalter spielen kann und will. Der Generaldirektor der europäischen Weltraumagentur (ESA), Josef Aschbacher, erklärte es kürzlich zum Ziel, bis 2030 Europäer auf den Mond zu bringen, welcher „zu einem neuen Wirtschaftsraum und einem neuen Kontinent“ (Der Standard. 2021. Bis zum Ende der Dekade steht ein Europäer oder eine Europäerin auf dem Mond. https://www.derstandard.at/story/2000131455919/bis-zum-ende-der-dekade-steht-ein-europaeer-oder-eine) werden würde. Der Weg dorthin wirft allerdings brisante technopolitische Fragen auf und ist in der europäischen Raumfahrtbranche durchaus umstritten. Der Beitrag untersucht diese Fragen anhand der Kontroversen zur Zukunft der gemeinsamen europäischen Trägerrakete Ariane, basierend auf mehrjähriger Feldforschung und Experteninterviews (Allen Interviewpartnern wurde Anonymität in dem von ihnen unterzeichneten Informed Consent zugesichert. Im Folgenden sind die Interviewpartner abgekürzt mit IP sowie der Nummer des jeweiligen Interviews.) mit Akteuren der deutschen und europäischen Raumfahrtpolitik und -Industrie zu Praktiken und Spannungsfeldern der europäischen technopolitischen Integration im Weltraumsektor zwischen 2019–2021. Damit möchte das Kapitel einen Beitrag zum besseren Verständnis darüber leisten, wie Zukunftsvisionen der Weltraumnutzung Formen der europäischen Zusammenarbeit in der Gegenwart prägen – und wie aktuelle geopolitische Dynamiken im neuen Wettlauf um den Weltraum Diskurse zu europäischer strategischer Autonomie verstärken.