Abstract
Bei der Bemühung um die Emanzipation von körperlich oder geistig beeinträchtigten Menschen kommt es häufig zu einer vehementen Kritik an einem "medizinischen Konzept" von Behinderung. Diesem wird aus Sicht einer "Bürgerrechtsperspektive" entgegengehalten, es gelte nicht, die Menschen zu korrigieren, sondern die Umwelt so zu verändern, dass Betroffene ungehindert am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Nach Auffassung der "Normalisierungskritik" sind es Stereotypen und Stigmata, die es Behinderten erschweren, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Beide Ansätze ignorieren oder bagatellisieren jedoch aus systematischen Gründen die Art und Weise, in der Betroffene ihre physische oder psychische Schädigung subjektiv erfahren. Deshalb kann auch nicht auf die erheblichen Unterschiede reflektiert werden, die zwischen verschiedenen Formen der Behinderung bestehen. Es ist jedoch verfehlt, die Feststellung, dass Behinderte häufig in spezifischer Art bedürftig sind, mit paternalistischer Herablassung gleichzusetzen. Gerade für ein zuträgliches Verhältnis von Medizinern und Behinderten ist es wichtig, exakt jene Differenzen zu berücksichtigen, die zwischen akuten Krankheiten und verschiedenen Formen chronischer Beeinträchtigung bestehen. Nur so können Ärzte dazu veranlasst werden, von einer allzu "interventionsfreudigen" Haltung Abstand zu nehmen