Abstract
In der Medizinethik haben sich moralische Gründe, die die Würde des Patienten betreffen, gerade auch in Fragen am Lebensende als wichtige Grundlage praktischen Überlegens neben solchen des Wohlergehens und der Autonomie fest etabliert. Dabei hat es sich eingebürgert, zwischen Gesichtspunkten zu unterscheiden, die die kontingente Würde einer Person in den Blick nehmen, und solchen, die sich auf eine nicht-kontingente Würde ihrer Träger beziehen. In diesem Aufsatz möchte ich auf eine weitere Grundlage aufmerksam machen, die von Überlegungen, die von der Menschenwürde der Betroffenen in beiderlei Art ihren Ausgangspunkt nehmen, verdeckt zu werden drohen: Moralische Gründe, die sich der Bewahrung oder Vermehrung des Sinns verschrieben haben, den Menschen in ihrem Leben sehen oder vermissen. Diese Sinn-Gründe, so mein Argument, weisen einige strukturelle Gemeinsamkeiten zu Würde-Überlegungen auf, die auf eine gemeinsame ontologische Grundlage und überlappende Gehalte beider zurückzuführen sind. Dessen unbeschadet haben beide Arten von Gründen eigenständige Funktionen beim Nachdenken über medizinethische Probleme; tatsächlich haben Gründe des Sinns im Falle moralischer Herausforderungen am Lebensende oftmals sogar den Primat in dem Sinne, dass sie konstitutiv in Würde-Gründe eingehen können und auch unabhängig davon auf moralisch relevante Gesichtspunkte verweisen.