Abstract
Das ethische Prinzip des Respekts vor der Autonomie des Patienten/Probanden hat in der modernen Medizin mittlerweile weltweit Bedeutung erlangt. Die Betonung der Autonomie des Patienten und Probanden in allen in der letzten Zeit verabschiedeten internationalen Deklarationen gibt dieser Tendenz unmissverständlich Ausdruck. Doch wenngleich diese Entwicklung unstrittig positiv ist, wirft sie dennoch eine Reihe von Fragen auf, die mit der Kodifizierung, Interpretation, Reichweite und Anwendung dieses universalen Prinzips verbunden sind. Die Antworten auf diese Fragen entscheiden darüber, ob Autonomie als hilfreiches, emanzipatorisches oder als überforderndes, gar hegemoniales Prinzip begriffen wird. Diese normativen Probleme werden anhand von Beispielen aus der globalen Medizinethik verdeutlicht. Was in modernen Gesellschaften als Autonomie bezeichnet und für die Praxis fruchtbar gemacht wird, ist als ein soziales Konstrukt zu verstehen, nicht im Sinne einer Schimäre, sondern im Sinne einer soziokulturellen Leistung, die auf komplexen, historisch gewachsenen und kulturell geprägten Interaktionen von Gesellschaften, Institutionen und Individuen beruht.