Abstract
In Germany at the turn of the 20th century the interest in Fichte’s philosophy was growing remarkably.This phenomenon has to be considered as a part of a broader “German movement”, i. e. a collective cultural trend aiming at pinpointing what had been properly “German” in the last two centuries. This need became even more acute by the outbreak of the Great War.In that context Fichte’s work was used as a benchmark for creating and elaborating on the myth of “the German character.” Many intellectuals of that time interpreted Fichte’s personality and thought as representing ideas, ethical values, spiritual positions, cultural attitudes and political stances which accounted for the specificity of “Germanness”. Since these ideas and values were believed to be particular to the German culture, Fichte was celebrated all across the nation as an exemplary German.Harkening back to contemporary sources the following paper aims to illustrate how Fichte’s image was moulded in order to meet needs and issues emerging from the War and its philosophical-ideological interpretations. At the same time it suggests that the “Fichte case” from the beginning of the 20th century can be interpreted as a paradigmatic example of how philosophical and cultural issues can be ideologically interpreted and used to give support to a particular political view.Die Jahrzehnte um die Jahrhundertwende erlebten im wilhelminischen Deutschland eine starke Zunahme des Interesses an der Philosophie Fichtes.Die kollektive Begeisterung für Fichte lässt sich auf der Folie einer ‚deutschen Bewegung‘ betrachten, deren Ziel die Suche nach dem eigentumlichen ‚Deutschen‘ in den letzten zwei Jahrhunderten war. Diese Suche intensivierte sich noch mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges.In diesem Zusammenhang wurde Fichtes Denken zu einem Bezugspunkt fur die Ausarbeitung des Mythos von der Besonderheit des deutschen Wesens. Viele Intellektuelle zu Beginn des 20. Jahrhunderts und während der Kriegszeit wollten Fichte als Vorbild einer Persönlichkeit sehen, die edle Ideale, anspruchsvolle Vorstellungen, deutschen Geist und starken Willen vertrat gegenüber einer geistlosen, ethisch verdorbenen Welt, gegen ein intellektualisiertes Leben und die ‘zivilisierte Un-Kultur’ der modernen Menschheit.Im Bezug auf die Verflechtung von philosophischen Begriffen, idealisierter Kriegsvergeistigung, patriotischem Glauben und Willen nach nationaler Bildung setzt sich das Paper zum Ziel die Vorbildhaftigkeit, die Fichte damals zugeschrieben wurde, zur Darstellung zu bringen und quellenmäßig zu analysieren. Der ‚Fall Fichte‘ wird aber zugleich als historisch kontextualisiertes Erlebnisbeispiel des Ineinanderfließens von kulturellen Überhöhungen und politischen Anforderungen betrachtet: ein exemplarischer Fall vom ideologischen Verständnis des Geistigen.