Abstract
Der folgende Artikel möchte nachvollziehen, wie sich die Kraft und Macht des Kunstwerkes in den Bewegungen erlebter Erfahrung konstituiert. In den altindischen Kunstphilosophien wurde solch ästhetische Erfahrung bereits früh durch den Begriff des Rasa angezeigt. Woher der Begriff stammt, welch älterer Sinn sich in ihm verbirgt und warum er schließlich als Bezeichnung für die Seinsweisen ästhetischer Wahr-nehmung fungieren konnte, wird mittels vedischer Quellen im ersten Teil verhandelt. In einem zweiten Schritt wird anhand des Nātyaśāstra von Bharata Muni der Versuch unternommen, genauer darauf einzugehen, auf welches Phänomen der Begriff des Rasa innerhalb künstlerischer Praxis hinweisen möchte. Dem Rasa-Diskurs folgend drängt sich im Weiteren die Frage auf, ob und inwieweit die künstlerische Arbeit überhaupt in der Lage sein kann, bestimmte Rasas hervorzubringen, einzustimmen, um kraft ihrer in Selbstverständnisse des Alltags zu intervenieren. Im Zuge dieser Fragestellung erfährt bei Abhinavagupta die Potentialität ästhetischer Erfahrung nicht nur eine neue Gewichtung, eine Verschiebung von der „Kraft des Kunstwerks“ hin zu einer „Kraft der Rezipientin“ ; sondern spätestens jetzt erreicht der Rasa-Diskurs zudem eine epistemologische Dimension. Es wird zuletzt ein epistemisches Vermögen beschrieben, welches weder begreifen will, um zu beherrschen, noch durch eine eskapistische Flucht in das Imaginäre retiriert, sondern vielmehr vermöge der künstlerischen Vermittlung sich in eine erlebend involvierte Distanz zum Geschehen bringt, von wo aus sich eine einsehende Auseinandersetzung und schließlich eine die Ohnmacht überwindende, emanzipatorische Kraft des Erkennens freisetzt.