Abstract
Absicht dieser Arbeit ist, den seltsamen Satz Kants zu erklären: „Gedanken ohne Inhalt sind leer“. Der Satz ist wohlbekannt; er findet sich in der Einleitung zur Transzendentalen Logik, und macht dort einen Teil eines längeren Satzes aus, dessen zweiter Halbsatz besagt: „Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ Es ist aber nicht unser Vorhaben, den Sinn des Satzes, sondern nur seine merkwürdige Form zu erklären. Er gehört in einen Zusammenhang, in dem die gegenseitige Bedingtheit von Sinnlichkeit und Verstand hervorgehoben wird: Keine dieser Eigenschaften ist der andern vorzuziehen. Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind. Daher ist es eben so nothwendig, seine Begriffe sinnlich zu machen , als seine Anschauungen sich verständlich zu machen . Beide Vermögen oder Fähigkeiten können auch ihre Functionen nicht vertauschen. Der Verstand vermag nichts anzuschauen und die Sinne nichts zu denken. Nur daraus, daß sie sich vereinigen, kann Er|kenntniß entspringen. Diese gegenseitige Abhängigkeit wird dann in der Transzendentalen Analytik dargestellt. An der Stelle, die hier betrachtet wird, wird sie einzig als eine Voraussetzung aufgeführt, die der weiteren Erklärung bedarf. Was uns jetzt aber interessiert, ist nicht das Verhältnis von gegenseitiger Bedingtheit zwischen Anschauungen und Begriffen bzw. zwischen Sinnlichkeit und Verstand; unsere Ansprüche sind bescheidener: Wir möchten nur die merkwürdige rhetorische Struktur des ersten Halbsatzes betrachten