Abstract
Weit mehr, als bisher angenommen, ist Derridas vor genau vierzig Jahren erschienene Grammatologie von religiös inspirierten Impulsen motiviert und von diesen her verständlich. Sie stellt nämlich eine Reaktion auf mediale Entwicklungen dar, die gerade in der Abfassungszeit und gerade in den Augen der „aus dem Buch hervorgegangenen Rasse” der Juden existenzbedrohlich erscheinen konnten. Diese Bedrohung wurde von Derrida mit dem Abendland assoziiert und mit einer Vorwärtsverteidigung beantwortet. Ziel seiner Grammatologie war eine medienphilosophisch reformulierte Metaphysikkritik und ein Angriff auf ein Abendland, von dem die jüdische Tradition ausgenommen bleiben, ja aus dem sie gestärkt hervorgehen sollte. Die Konsequenzen seines Buches reichen bis in die Gegenwart und werfen viel Licht auf heutige postsäkulare Spannungen