Die argumentativen Grundlagen der Meinungsfreiheit

In Eric Hilgendorf, Liberalität und Verantwortung. Berlin: Duncker & Humblot. pp. 57-72 (2023)
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Abstract

Die Meinungsfreiheit nimmt im Kanon der individuellen Grundrechte, die in demokratisch verfassten Staaten gemeinhin anerkannt werden, einen zentralen Platz ein. Bereits im ersten Zusatzartikel zur US-amerikanischen Verfassung aus dem Jahre 1791 heißt es: "Congress shall make no law (…) abridging the freedom of speech (…)". Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gewährt in Art. 5 jedermann "(…) das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (…)." Ähnliche Formulierungen finden sich unter anderem in Art. 21 der italienischen Verfassung, in Art. 54 der polnischen Verfassung sowie in Art. 13 des österreichischen Staatsgrundgesetzes. Auch in den maßgeblichen Menschenrechtsdokumenten des internationalen Rechts hat der Schutz der individuellen Meinungsfreiheit eine sichere Grundlage. So bestimmt Art. 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahre 1948: "Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung (…)." Ebenso sichert die Europäische Menschenrechtskonvention aus dem Jahre 1950 in Art. 10 und der internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte aus dem Jahre 1966 in Art. 19 die individuelle Meinungsfreiheit zu. In jüngster Zeit sieht sich die Meinungsfreiheit jedoch in vielen demokratischen Gesellschaften mit problematischen Entwicklungen konfrontiert, die erhebliche Friktionen verursachen. Auf der einen Seite ist eine zunehmende Verrohung des öffentlichen Diskurses zu beobachten, die sich besonders deutlich in digitalen Medien der Kommunikation zeigt. Das Ausmaß der Verunglimpfung und Herabsetzung anderer Personen lässt Rufe nach einem effektiveren Schutz vor Hassrede-und somit nach einer Beschränkung der Meinungsfreiheit-lauter werden. Auf der anderen Seite besteht schon heute in Teilen der Bevölkerung der Eindruck, im alltäglichen Sprachgebrauch immer stärker durch Normen der politischen Korrektheit reguliert zu werden. Damit einher geht die Wahrnehmung, sich nicht mehr ohne Weiteres frei äußern zu können und schon in der Wortwahl auf eine bestimmte Gesinnung festgelegt zu werden.0 F 1 In Anbetracht der genannten Herausforderungen erscheint es wichtig, sich der Gründe zu vergewissern, die für die Gewährung von Meinungsfreiheit sprechen. So kann z.B. über Maßnahmen zum Schutz vor Hassrede nur dann sinnvoll diskutiert werden, wenn die Bedeutung der Meinungsfreiheit klar zutage liegt. Der vorliegende Beitrag unternimmt daher den Versuch, die unterschiedlichen Argumentationslinien, auf die sich das Recht auf Meinungsfreiheit stützen kann, zu rekonstruieren. Im Folgenden werden zunächst die wesentlichen Charakteristika des Rechts auf Meinungsfreiheit, die der weiteren Diskussion als Bezugspunkt dienen, kurz umrissen (B). Darauf aufbauend werden drei Begründungen, warum der Meinungsfreiheit eine zentrale Bedeutung zukommt, vorgestellt und kritisch erörtert: im Einzelnen werden die Kommunikationsfunktion (C I), die Erkenntnisfunktion (C II) und die Demokratiefunktion (C III) der Meinungsfreiheit thematisiert. In einem abschließenden Resümee werden die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung kurz zusammengefasst und weiterführende Überlegungen zur Rechtfertigung möglicher Beschränkungen angestellt (D). 1 Von Münch, Meinungsfreiheit gegen Political Correctness, 2017.

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