Analysieren, Verstehen und Interpretieren in der Sprachwissenschaft - aus wissenschaftshistorischer und aktueller Sicht
Abstract
Der Beitrag bietet einen systematischen Überblick über Konzepte von Interpretation, wie sie in zentralen sprachwissenschaftlichen Auffassungen des 20. und frühen 21. Jahrhunderts zu finden sind. Die als symptomatisch ausgewählten Konzepte werden vor dem jeweiligen Theoriehintergrund knapp dargestellt. Soweit wie möglich werden Bezüge zu verwandten Begriffen berücksichtigt und Beziehungen zu literaturwissenschaftlichen Auffassungen hergestellt. Es wird deutlich, dass die sich in ihren Ansätzen stark unterscheidenden Richtungen der Sprachwissenschaft folgerichtig auch sehr unterschiedliche, kaum zu vereinbarende Auffassungen von ›Interpretation‹ hervorgebracht haben. Übereinstimmung zeigt sich nur darin, dass es im Kern immer um die Frage geht, wie man sich Texte über ihre sprachliche Form erschließen kann. Die Uneinheitlichkeit beim in der Regel unhinterfragten Gebrauch der Grundkategorie ›Interpretation‹ lässt sich schon daran erkennen, dass es beim angestrebten Erschließen eines Textes je nach Theoriehintergrund um so unterschiedliche Phänomene wie Inhalt, Bedeutung, Funktion, Kompetenz, Lesart u.a. gehen kann. Gegenwärtig erlebt die lange Zeit von der Sprachwissenschaft vernachlässigte Betrachtung der Textoberfläche, der Materialität des Textes, eine Renaissance, zu der auch die Entwicklung einer ›Neuen Hermeneutik‹ gehört. Sie bietet unter den vorgestellten Auffassungen nicht nur die neueste, sondern auch die theoretisch wie empirisch tragfähigste, indem sie Interpretation als ein das Verstehen vermittelndes Handeln im Sinne der Herstellung von Sinnkonstanz definiert. Im letzten Teil des Beitrags wird das Konzept der ›Neuen Hermeneutik‹ ausführlicher vorgestellt. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Sprachwissenschaft sich künftig auf diesen Ansatz beziehen wird.