Abstract
Gesundheitliche Ungleichheiten sind ungeplante Nebeneffekte, der Art und Weise, wie das soziale Leben und das Wirtschaften organisiert sind und wie Lebensweisen und individuelle Präferenzen (willentlich oder unwillentlich) ausgestaltet sind. Sie wurden für fast alle Gesellschaften berichtet, für die Daten verfügbar sind. Sie manifestieren sich in unterschiedlicher Weise über die gesamte Lebensspanne und für die am häufigsten auftretenden Erkrankungen. Soziale Differenzierungen werden meist über Schulbildung, berufliche Position und Einkommen konzeptualisiert. Deren relative Effekte variieren in Abhängigkeit von der untersuchten Erkrankung. Alle drei Indikatoren messen indirekt Kontrolle, also Möglichkeiten und Optionen zur individuellen Einflussnahme als zentraler Kategorie sozialpsychologischer Stresstheorien. Neben zeitnahen Auswirkungen der Sozialstruktur wurden in neueren Studien Effekte über die Lebensspanne untersucht. Sofern sie während sensibler Entwicklungsphasen auftreten, können Deprivations- und Belastungserfahrungen der Mutter beim ungeborenen Kind zu Beeinträchtigungen und Prädispositionen für später auftretende Erkrankungen führen. Dieses „Modell kritischer Perioden“ wird ergänzt durch das „Kumulationsmodell“, das gesundheitliche Ungleichheiten als das Resultat von Benachteiligungen und anderen Einflussfaktoren beschreibt, die sich über den Lebenslauf summieren und mit erhöhten Erkrankungsrisiken verbunden sind. Zur Reduzierung gesundheitlicher Ungleichheiten können Maßnahmen eingeleitet werden, die auf Veränderungen des Verhaltens oder auf Veränderungen von Lebens- und Umgebungsbedingungen gerichtet sind, oder sie können über Ge- und Verbote erreicht werden. Verhaltensmuster werden jedoch in Abhängigkeit vom Bildungsstand mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und Bereitschaft übernommen und können – wenigstens kurzfristig – zu einer Erhöhung gesundheitlicher Ungleichheiten führen