Abstract
ZusammenfassungIn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen die meisten europäischen Staaten, Wetterbeobachtungsnetze zu finanzieren. Damit veränderten sich die klimatologischen Datenpraktiken fundamental. Am Beispiel der Schweiz beleuchtet dieser Aufsatz die politischen, institutionellen und methodologischen Dimensionen nationaler Datenarchive. Die Institutionalisierung der Datenproduktion im nationalen Rahmen führte einerseits dazu, dass mehr und systematischere Beobachtungen angestellt und publiziert wurden. Andererseits waren die Erhebungen an staatliche Grenzen gebunden, was nicht ausschloss, dass die nationalen Institutionen entsprechend ihrem universalistischen Wissenschaftsverständnis eine Standardisierung auf internationaler Ebene anstrebten. Die nationale Rahmung prägte auch die Verarbeitung der Wetterbeobachtung zu statistischen Größen. Diese bildeten die Grundlage für nationale Klimatografien und entfalteten so eine nationsbildende Wirkung. Die Schweizerische Meteorologische Zentralanstalt schrieb ihren Klimadaten sowohl einen praktischen Nutzen als auch ein großes Potenzial für die Forschung zu. Der epistemische Status der Datenerfassung war aber unsicher, zumal physikalisch orientierte Ansätze an Bedeutung gewannen. Für die Aufrechterhaltung der Datenproduktion erfüllte die Antizipation wissenschaftlicher und praktischer Potenziale eine zentrale Funktion. Das präsentierte schweizerische Fallbeispiel zeigt, dass die Klimatologie unter dem Einfluss der Nationsbildung eine Transformation durchlief, die ihre institutionelle Verankerung, ihre Raumbezüge und ihre Epistemologie erfasste.