Abstract
Erich Fromm hat 1956 in seinem zum Bestseller avancierten Buch „Die Kunst des Liebens“ zu Beginn drei Irrtümer unserer modernen Liebesauffassung moniert. Anstatt die eigene Fähigkeit zu lieben im Sinne einer charakterlichen Entwicklung möglichst gut auszubilden, gehe es den meisten erstens primär darum, geliebt zu werden und sich daher möglichst attraktiv darzustellen. Zweitens stehe die Suche nach einem passenden Liebesobjekt im Zentrum. Drittens schließlich würde Liebe mit Verliebtheit verwechselt. Die in Dating-Apps (implizit) vorausgesetzte Vorstellung romantischer Liebe scheint prima facie allen drei Irrtümern anheimzufallen. In meinem Beitrag gehe ich daher erstens der Frage nach, welche Konzeption von Liebe dem Selbstverständnis und der Funktionalität von Dating-Apps (implizit) zugrunde liegt und inwiefern diese Konzeption den von Fromm konstatierten Irrtümern tatsächlich anheimfällt. Die unterstellte Vorstellung besteht darin, Liebe als eine unwillkürliche emotionale Reaktion auf eine möglichst gut „passende“ andere Person (das Liebesobjekt) zu sehen, weshalb es in Dating-Apps stets um Matchmaking geht. Diese Vorstellung fällt, wie ich argumentiere, tatsächlich allen drei von Fromm genannten Irrtümern anheim. Zweitens diskutiere ich vor dem Hintergrund dreier einflussreicher Theoriestränge romantischer Liebe (individualistische Theorien, interpersonale Theorien und Vereinigungstheorien), inwiefern es sich dabei tatsächlich um Irrtümer handelt, wie Fromm meint, d. h. inwiefern sich die Konzeption von Liebe, die Dating-Apps (implizit) zugrunde liegt, mit diesen einflussreichen Theoriesträngen romantischer Liebe vereinbaren lässt. In der Tat zeigt sich hier, wie ich argumentiere, eine weitgehende Inkompatibilität, so dass Dating-Apps Gefahr laufen, in theoretischer Hinsicht keinen Raum für diese einflussreichen Liebeskonzeptionen zu lassen. Abschließend diskutiere ich mögliche Antworten auf diese Kritik und argumentiere, dass ein Zugeben des dritten Irrtums diese Gefahr zwar auf theoretischer Ebene bannen kann, jedoch nur teilweise hinsichtlich der Alltagspraxis.