Abstract
Wie setzen sich nationale Ethikinstitutionen als Form von Regierung lebenswissenschaftlicher Herausforderungen durch? Für welche Problematisierungen sind sie eine Lösung, welche sind auf dem Weg zu ihrer staatlichen Institutionalisierung verloren gegangen? Und wie ‚funktioniert‘ diese Regierungsform, die mittlerweile selbstverständlich scheint? Der Beitrag widmet sich diesen Fragen am Beispiel der Entstehungsgeschichte des nationalen französischen Ethikkomitees und richtet den Fokus auf den Diskurs medizinischer Forschung. Er knüpft an Studien an, die aus der Perspektive der Gouvernementalitäts- und Biopolitikanalyse die Regierung von Ethikinstitutionen als delegierte Biopolitik bzw. als governing at a distance betrachten. In einer genealogischen Herangehensweise wird aufgezeigt, dass diese Regierungsform nicht erst mit dem nationalen Ethikkomitee aufkam, sondern ihre Vorgänger hatte. Zudem zeigt sich, dass ethische Rahmungen medizinischer Entwicklungen sich in einem Kampf um Bedeutung gegenüber moralischen und gesellschaftskritischen Problematisierungen durchsetzten. Die entstandene Regierungstechnologie besteht wesentlich darin, den Diskurs über Probleme lebenswissenschaftlicher Entwicklungen zu steuern. Sie aktiviert Subjekte und integriert sie in einen von Expert_innen angeleiteten Diskurs individueller, rationaler Reflexion. Lebenswissenschaftliche Entwicklungen grundlegend zu kritisieren ist damit weitgehend ausgeschlossen – sie sind nicht mehr gesellschaftlich umkämpft.