Moderne Lateindidaktik im Mittelalter? – Beobachtungen zu Lehr- und Lernmethoden im Klosterunterricht und deren Eignung für die heutige Schulpraxis
Abstract
Der Beitrag untersucht die Praxis des Lateinunterrichts in spätmittelalterlichen Klöstern. Am Beispiel des Zisterzienserinnenklosters Wöltingerode wird deutlich, dass die Sprachanfänger neben normativen und devoten Texten das Lateinische vor allem anhand [alltagsorientierter] Lektüre auf eine lebendige und kommunikative Art und Weise lernten. Charakteristisch sind [zum einen] die unterschiedlichen Sprachniveaus dieser Texte, die somit auf die individuellen Lernbedürfnisse abgestimmt waren und zum zweiten die Verzahnung von grammatikalischen Phänomenen und inhaltlicher Textarbeit. Die Schultexte folgen deshalb im Allgemeinen den didaktischen Prinzipien eines modernen Sprachunterrichts. Aber nicht nur das differenzierte Material und die Vermeidung von bewusst erlebter Grammatikarbeit wirkte sich motivierend auf die Lernenden aus, sondern auch das Verhältnis zwischen Lernenden und Lehrenden, welches zugunsten einer angenehmen und Erfolg versprechenden Lernatmosphäre optimiert wurde. Diese Beobachtung lehnt ebenfalls an zeitgemäße fachdidaktische und erziehungswissenschaftliche Überlegungen an, so dass der mittelalterliche Lateinunterricht durchaus als modern zu charakterisieren ist. Am Beispiel einer Danksagung von einer Nonne werden die Vorteile dieses Unterrichtsmaterials und deren Eignung für den heutigen Sprachunterricht konkretisiert und mit weiteren Textauszügen belegt.