Abstract
In den letzten anderthalb Jahrhunderten ist die bedeutende Entfaltung der Geisteswissenschaften in den deutschsprechenden Ländern maßgeblich durch jene Universitätsreform ermöglicht worden, die mit dem Namen Humboldts verknüpft wird. Seit den sechziger Jahren nimmt man auch in der Bundesrepublik von dieser Universität Abschied; die jetzige Hochschulgesetzgebung setzt auch eine äußerliche Zäsur. Zugleich setzt sich auch im Bereich geisteswissenschaftlicher Arbeit bei Basisaufgaben wie der Materialsammlung und der Edition die "Forschung" durch, das heißt die langfristig organisierte und institutionell abgesicherte wissenschaftliche Tätigkeit. Im politischen wie im kirchlichen Bereich wird die unmittelbare Weitergabe und Darstellung von Tradition immer stärker entmächtigt, und so können wissenschaftlich distanzierte, kompensatorische Hinweise auf Tradition - etwa in den großen kulturhistorischen Ausstellungen - Bedeutung bekommen. Eine Forschungspolitik wird auch gegenüber den Geisteswissenschaften nötig, die ihre Grenzen kennt und die geisteswissenschaftliche Arbeit, die in ihrem Kern Individualforschung war und bleiben muß, nicht durch Übertragung unangemessener forschungspolitischer Direktiven aus anderen wissenschaftlichen Bereichen stört