Abstract
Die systematische wissenschaftliche Forschung zum Tierwohl begann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wegen ethischer Bedenken hinsichtlich der Lebensqualität von Tieren. Sie ist wesentlich durch eine Kritik an der landwirtschaftlichen Intensivtierhaltung und an den mit dieser verbundenen Leiden und Belastungen für die Tiere angestoßen und forciert worden, die insbesondere von Ruth Harrison in ihrem 1964 erschienenen Buch AnimalMachines formuliert worden war. Als eine Folge der öffentlichen Diskussion, die der Bericht von Harrison ausgelöst hatte, richtete die britische Regierung eine Kommission ein, die den Auftrag hatte, das Wohlergehen von Tieren in der Intensivhaltung zu untersuchen. In dem – nach seinem Vorsitzenden benannten – Brambell-Report von 1965 werden nicht nur eine Reihe von Vorschlägen für eine adäquate Nutztierhaltung gemacht, sondern auch ›Freiheiten‹ definiert, die Tiere nach Ansicht der Autorinnen und Autoren genießen sollten. Diese bezogen sich, wie schon bald kritisch eingewendet worden war, ausschließlich auf den Platzbedarf von Nutztieren. Nicht zuletzt mit dem Ziel, diese Einseitigkeit zu korrigieren, formulierte Webster »Fünf Freiheiten«, die 1993 vom UK Farm Animal Welfare Council kodifiziert wurden, und die in der wissenschaftlichen, insbesondere aber in der öffentlichen Diskussion über einen akzeptablen Umgang mit Nutztieren seither sehr einflussreich geworden sind. Die bei Webster genannten Freiheiten, auf die Nutztiere Anspruch haben, sind die Freiheit von Hunger und Durst, die Freiheit von haltungsbedingten Beschwerden, die Freiheit von Schmerz, Verletzungen und Krankheiten, die Freiheit von Angst und Stress sowie die Freiheit zum Ausleben normaler Verhaltensmuster. Der und die sich daran anschließenden Arbeiten haben eine umfangreiche wissenschaftliche Diskussion über den Begriff des Tierwohls und die Frage entfacht, wie das Wohl von Tieren bestimmt werden kann. Inzwischen kann die Tierwohl-Forschung zu den etablierten wissenschaftlichen Disziplinen gezählt werden. Der Begriff des Tierwohls wird darüber hinaus auch in der öffentlichen und – seit mehreren Jahren verstärkt auch – in der politischen Auseinandersetzung um den Tierschutz verwendet. Dies nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Diskussion über die Einführung sogenannter Tierwohl-Labels in der Lebensmittelindustrie.