Abstract
Im Laufe des 20. Jahrhunderts ist Kritik allmählich zu einem „Verpflichtungsbegriff“ geworden, der schließlich alle geistes- und sozialwissenschaftliche Theoriebildung erfasst hat. Als sich die Soziologie publikumswirksam als „Kritische Theorie“ zu inszenieren begann, folgten ihr alsbald „Kritische Psychologie“ und „Kritische Pädagogik“. Strittig bleibt freilich, wo in einer funktional differenzierten Gesellschaft die Kritik angesichts der Vielzahl gleich-zeitiger und gleich-gültiger Eigennormativitäten der gesellschaftlichen Teilsysteme ihren normativen Halt finden kann. Einer Wissenschaft, die ihren privilegierten Erkenntnisvorsprung längst verloren hat, bleibt die Aufgabe, aus dem Geist der Illusionslosigkeit die Perspektivenvielfalt klug zu moderieren.