Abstract
Der folgende Beitrag setzt sich mit den Begriffen „Normalität“ und „psychische Erkrankung“ auseinander. Es zeigt sich, dass beide zu einem erheblichen Maße unterbestimmt sind und beiden nicht nur ein deskriptiver, sondern ein nicht unerheblicher normativer Gehalt innewohnt, der sich der Reflexion nicht selten entzieht. Problematisch ist die mitunter synonyme Verwendung von „Normalität“ und „psychische Gesundheit“ bzw. „Anormalität“ und „psychische Krankheit“, da damit nicht nur inhaltlich unterschiedlich gelagerte Begrifflichkeiten, sondern auch diskrepante Begriffslogiken vermischt werden. Während in Bezug auf ausgeprägte psychische Störungen diese Tatsache weniger von Belang zu sein scheint, da hier die Zuschreibung einer psychischen Erkrankung allgemein zustimmungsfähig ist, wird die Begriffsvermischung im Graubereich zwischen psychischer Krankheit und Gesundheit deutlich relevanter. Hier scheint man sich unausgesprochen an Kriterien der Normalität zu orientieren, womit ein ausgeprägt normatives Moment zum Tragen kommt. Dieser normative Sog hin zur statistischen Mitte kann auch als eine Form von Optimierung verstanden werden, die psychisches Leiden möglichst reduzieren möchte. Auch wenn dies auf den ersten Blick wünschenswert sein könnte, übersieht man dabei doch die nicht immer nur negativ zu interpretierende Bedeutung, die psychisches Leid für menschliches Leben haben kann.