Abstract
Die Diskussion zwischen Marxismus und Strukturalismus wird im allgemeinen als eine Angelegenheit des heutigen französischen Strukturalismus betrachtet. Diese Auffassung wird hier relativiert und erweitert. Es stellt sich nämlich heraus, dass Wurzeln des jetzigen strukturalen Denkens im Russischen Formalismus zu finden sind und dass bereits dort eine Auseinandersetzung mit dem Marxismus stattfand, die bis heute ihre Gültigkeit behalten hat. Die wichtigsten Themen dieser Diskussion sind die Idee der Verfremdung, die Frage des Strukturdenkens und das Problem des Verhältnisses zwischen literarischer und sozialer Realität. Sie sind in vielerlei Gestalt Gegenstände der Diskussion in Moskou und Petersburg während der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts, aber auch in den dreissiger Jahren im Prager Kreis - dieselben Themen werden heute in den Pariser Kreisen diskutiert, sowohl in dem literarischen Kreis der Zeitschrift Tel Quel wie auch in dem Althusser-Kreis. Auf dem Hintergrund dieser Fragen steht der Gegensatz zwischen einem Wesensdenken und einem Strukturdenken. Er beherrschte sowohl den Formalismus als den Strukturalismus des Prager Kreises. Heute ist eine Verschiebung zu registrieren : es geht um denselben Gegensatz im Marxismus. Kann der Marxismus, besonders seine Theorie der Praxis, vermitteln zwischen beiden Denkformen, da er sie als ihn selbst kennzeichnende Ambiguität in sich trägt ?