Psyche 76 (4):312-344 (
2022)
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Abstract
Ausgehend von klinischen Erfahrungen und Erkenntnissen der kritischen Theorie entwickelt Alfred Lorenzer im Laufe seines Wirkens ein umfangreiches Theorie- und Methodeninventar sowohl für eine sozialisationstheoretische Perspektive des kindlichen Bildungsprozesses als auch für die spezifische Methode des psychoanalytischen Verstehens unbewusster Beziehungsmuster. Seine Theorie der »Interaktionsformen« und des »szenischen Verstehens« bildet seither einen festen Bestandteil der Theorie der Psychoanalyse. Schon die innere Natur – den Trieb – versteht Lorenzer nicht als Biologie allein, sondern auch als aus sozial hergestellten Szenen bestehend. So ist das Subjekt für Lorenzer von Anfang an ein Produkt seiner Beziehungserfahrungen, die anfangs über die Vermittlung durch die Mutter-Kind-Dyade auch sozial hergestellt werden. Mit dieser gesellschaftskritischen Fokussierung ist er der vielleicht radikalste Vertreter einer kritischen Psychoanalyse. Der Beitrag stellt die sozialisationstheoretischen wie methodenspezifischen Gedanken Lorenzers dar und skizziert Verbindungslinien zu anderen Theoretikern. Zur Veranschaulichung des Szenischen als methodischer Grundlage des psychoanalytischen Verstehens im Wechselspiel von Übertragung und Gegenübertragung wird die Interpretation einer Therapiesituation mit einer traumatisierten Jugendlichen aus einer neueren filmischen Darstellung entfaltet.