Abstract
ZusammenfassungIn den 1970er Jahren eigneten sich feministische Aktivistinnen die Figur der Hexe in verschiedenen Kontexten und Konstruktionen an: als Symbol für Alterität, politischen Radikalismus oder politische Revolte, Repräsentation des verfolgten Opfers oder der alternativen Heilerin, die über subversives Körperwissen verfügt. Der Artikel untersucht diese Hexenkonstruktionen mit dem Fokus auf ihren Erfahrungsgrundlagen, wobei er sich auf Aneignungen in Westeuropa und insbesondere Westdeutschland in seinen transatlantischen Verflechtungen konzentriert. In einem ersten Abschnitt wird zunächst ein kurzer Überblick über exemplarische Hexendiskurse in den 1970er Jahren in radikalfeministischen, gesundheitspolitischen und künstlerischen Milieus gegeben auf der Grundlage einer Auswertung repräsentativer westeuropäischen Zeitschriften und Gesundheitsliteratur. Der Artikel hebt die Vielfalt der Hexenbilder und ihre erkenntnistheoretischen Zusammenhänge hervor und argumentiert, dass, so unterschiedlich diese Ansätze auch erscheinen mögen, sie alle Differenzmuster konstruierten. Daran anschließend werden im zweiten Abschnitt alternative Praktiken der Wissensproduktion analysiert mit einem Schwerpunkt auf Gesundheitsratgebern und consciousness raising groups. Es wird gezeigt, wie Hexendiskurse einerseits die Wissensermächtigung der Bewegung ermöglichten, andererseits aber Teil einer komplexen Grenzarbeit innerhalb der Milieus waren, etwa in den Debatten über das Verhältnis von Erfahrungswissen und Theorie. Der letzte Abschnitt des Artikels erweitert das Bild und verweist darauf, wie eng und auf welche Weise Spiritualität mit dieser Grenzarbeit verbunden war. Es wird diskutiert, wie diese Milieus sich im Rahmen feministischer Epistemologien gegen und innerhalb etablierter Wissenskulturen konstituierten und damit weitere Grenzen innerhalb der Bewegung gezogen wurden. Insgesamt demonstriert der Artikel mit dieser Analyse der „Evidenz der Erfahrung“ (Scott) in exemplarischen Hexendiskursen, dass deren historische Relevanz zunächst in ihrem standpunktbildenden Charakter lag.