Abstract
Wissenschaftliches Fehlverhalten ist ein Thema, das in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit starke moralische Entrüstung hervorruft. Die Mitglieder der wissenschaftlichen Gemeinschaft scheinen sich hier wie in klassischen Strafritualen durch Skandalisierung und öffentlichkeitswirksame Sanktionen gegenseitig ihrer geteilten moralischen Überzeugungen zu versichern. Der Beitrag verfolgt entlang der beiden Fälle von Retractions und VroniPlag Wiki die Eigenschaften und Auswirkungen dieser wissenschaftlichen Sanktionen: Statt konkreter ritueller Handlungen vor einem physischen Publikum sind diese Sanktionen nur noch Zeichen für Strafen, sie entfalten Verweisketten auf abwesende Rituale und Übertretungshandlungen, die am Ende unbestimmt bleiben. Die Strafe wie auch die Übertretung selbst werden hyperreal. Wissenschaft wird zur Simulation einer moralischen Gemeinschaft. Wissenschaftler*innen werden in eine solche Gemeinschaft nicht mehr über das Erleben geteilter moralischer Empfindungen, sondern über das Nachvollziehen und Produzieren möglichst lückenloser Verweisketten integriert.