Psyche 76 (9-10):758-789 (
2022)
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Abstract
Die psychoanalytische Debatte um unrepräsentierte psychische Zustände und die Grenzen der Behandelbarkeit schwerer seelischer Leiden ist theoretisch ebenso wie klinisch für die Psychoanalyse der Gegenwart zentral. Theoretisch gehaltvoll ist sie, weil das Verhältnis von verbalsprachlichen und infralinguistischen »Einschreibungen« sowie zwischen intrapsychischer und interpersonaler Erfahrung neu zu klären ist und einige enorm heterogen verwendete psychoanalytische Kernbegriffe zur Repräsentation neu zu sichten und voneinander abzugrenzen sind. Klinisch entscheidet sich an diesen Fragen, welche Leiden der psychoanalytischen Therapie zugänglich sind. Die vorliegende Arbeit will einen sowohl theoretisch wie klinisch relevanten Beitrag zur Diskussion leisten. Sie geht aus von Sigmund Freuds Konzepten zu den unbewussten Vorstellungen, aus deren Perspektive die weiterführenden Gedanken neu gelesen und überprüft werden. Dabei stehen die Modelle von Green, Levine, Botella & Botella und Kristeva im Mittelpunkt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass es vorschnell ist, infralinguistische oder semiotische Erfahrungsschichten als »nicht repräsentiert« einzustufen. Vielmehr sollen die verschiedenen Darstellungsformen seelischer Zustände gewürdigt und aufeinander bezogen werden, die schließlich sprachlicher Repräsentation und so der Behandlung geöffnet werden. Ein ausführlicher Fallbericht und Hinweise auf die Behandlungsdynamik der Anorexia nervosa erläutern beispielhaft, wie das in der Kur gelingen kann.