Psyche 76 (11):1008-1036 (
2022)
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Abstract
Schlaglichtartig wird in die Biographie eines der wichtigsten Freud-Schüler eingeführt: Wilhelm Reich (1897–1957). Dass dieser aus einem – im Vergleich zu Freud – positiven Menschenbild radikalere Sozialkritik ableitete und offen politisch »links«, dann auch antifaschistisch agierte, trug maßgeblich zum Zerwürfnis mit Freud um 1930 und zur Ächtung Reichs in der IPA ab 1933 bei. Im selben Jahr veröffentlichte Reich seine Schrift »Massenpsychologie des Faschismus«. Dort baut er nicht nur auf Erkenntnissen Freuds auf, er führt diese auch weiter. Reich, der zur Niederschlagung des Faschismus beitragen wollte, deckt die Entstehung und Wirkung jener typischen Charakterstrukturen auf, die die Basis der faschistischen Bewegungen in Europa bildeten. Ausführlich beschreibt er, wie diese Strukturen durch patriarchalische Sozialisierung, insbesondere Sexualunterdrückung, hergestellt werden. Sein Augenmerk richtet er zudem auf das Wechselspiel zwischen Geführten und Führern: Im Unterschied zu Freud möchte Reich letzteren keine »eigene Psychologie« zubilligen, sondern versteht sie als austauschbare Gallionsfiguren, die die – nicht zuletzt neurotischen – Charakterstrukturen einer Masse besonders effizient repräsentieren.